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Portrait

Dominique Aegerter - Domi#77

Geboren und aufgewachsen bin ich in Rohrbach, einem kleinen, beschaulichen Dorf mit rund 1400 Einwohnerinnen und Einwohnern im oberen Langenthal. Einige bezeichnen uns als Emmentaler, andere als Oberaargauer. Das liegt daran, dass Rohrbach im Kanton Bern am Übergang vom Emmental zum Oberaargau liegt. Hier wohne ich bis heute zusammen mit meinen Eltern und in Sichtweite zu meinem Bruder. Hier liegen meine Wurzeln. Hier ist mein Zuhause.

Schon früh in meiner Kindheit bin ich mit allerlei Fahrzeugen und Motoren in Kontakt gekommen. Mein Vater besass eine Auto- und Motorrad-Garage, die er heute vermietet hat. Ich schaute ihm schon früh beim Arbeiten über die Schultern und verbrachte bald viel Zeit in seiner Werkstatt. Mein Interesse an Motoren und Technik ist also sehr früh geweckt worden. Ich war erst drei Jahre alt, als mir mein Vater ein kleines Motorrad schenkte. Damit brauste ich um unser Haus herum. Die Nachbarn beschwerten sich hin und wieder über den Lärm, der in meinen Ohren wie Musik klang. An dieser Stelle noch einmal besten Dank fürs Verständnis und «sorry». So hat meine Entwicklung zum Rennfahrer also früh begonnen.

Mit fünf Jahren fuhr ich erstmals in einer offiziellen Motocross-Rennserie. In den Kinderklassen und in der Juniorenkategorie feierte ich schnell regionale und bald nationale Erfolge. 2003 wechselte ich zum Strassenrennsport und wurde im deutschen ADAC Junior Cup auf Anhieb im ersten Rennen siebter, in meiner ersten Saison 15. im Gesamtklassement und stieg in die 125er-Klasse der IDM (Internationale

Deutsche Meisterschaft) auf. Dort fuhr ich bis 2006, erreichte in diesem letzten Jahr den 2. Schlussrang und wurde Deutscher Vizemeister.

Ich konnte in dieser Zeit viele wertvolle Erfahrungen auf allen Gebieten sammeln und durch meine Leistungen ist Olivier Métraux auf mich aufmerksam geworden. Er glaubte an mich und mein Potenzial als Rennfahrer und förderte mich in den nun folgenden 10 Jahren stark. Ihm verdanke ich den Aufstieg zum GP-Fahrer. Dank ihm konnte ich im Herbst 2006 die ersten zwei GP und 2007 im finnischen „Ajo Motorsport Team“ die erste komplette WM-Saison bestreiten (125 ccm/16. Schlussrang). Bis 2009 hatte ich mich bei Aki Ajo auf den 13. WM-Gesamtrang verbessert.

Im Frühjahr 2010 begann für mich wiederum dank Olivier Métraux mit dem Aufstieg in die neu geschaffene Moto2-Klasse eine neue Ära im Team „CareXpert-Interwetten“. 2013 und 2014 brachten konstant gute Leistungen auf hohem Niveau mit regelmässigen Klassierungen in den «Top Ten» und in diesen beiden Jahren beendete ich die Moto2-WM auf dem 5. Schlussrang. 2014 fuhr ich viermal aufs Podest und feierte am 13. Juli 2014 auf dem Sachsenring beim GP von Deutschland meinen ersten GP Sieg – und ich unternehme alles, damit es nicht der einzige bleibt.

2015 und 2016 ereilte mich zum ersten Mal in meiner Karriere das Verletzungspech. Bei einer unverschuldeten Kollision im Rennen beim GP von Aragon (Sp) erlitt ich am 27. September 2015 schwere Rücken- und Handverletzungen und musste die Saison vorzeitig beenden. 2016 zwangen mich Sturzverletzungen zum Verzicht auf zwei Rennen und ich konnte die Saison nur noch unter oft fast unerträglichen Schmerzen fortsetzen.

Aus sportlichen und technischen Gründen entschied ich mich nach langen und gründlichen Überlegungen, eine neue Herausforderung zu suchen, mich sehr schweren Herzens von Olivier Métraux zu trennen und für die Saison 2017 in ein neues Rennteam zu wechseln. Der Entscheid fiel mir nicht leicht und führte aus mir heute noch unerfindlichen Gründen dazu, dass mich mein bisheriges Team für die vier restlichen Rennen des Jahres nicht mehr fahren liess. Obwohl ich 2016 nur zwei Drittel der Rennen fahren konnte, reichte es schliesslich noch zum 12. WM-Schlussrang. Das unfreiwillige Saisonende nutzte ich, um die vorher mehrfach verschobene Spitzensport-Rekrutenschule in Magglingen nachzuholen. Der Kontakt mit Athleten aus vielen anderen Sportarten war bereichernd und hat meinen Horizont erweitert.

2017 fuhr ich für das deutsche „Kiefer Racing Team“ der Gebrüder Stefan und Jochen Kiefer. Ich wechselte von Kalex zurück auf die Chassis von Eskil Suter, auf dem ich 2014 meinen Sieg auf dem Sachsenring herausgefahren hatte und fühlte mich in der neuen Umgebung sehr wohl. Die Zusammenarbeit zwischen den Chefs und den Technikern war in einer familiären Atmosphäre sehr professionell und effizient. In San Marino feierte ich am 10. September 2017 in einem dramatischen Regenrennen vor Tom Lüthi meinen zweiten GP-Sieg. Wegen angeblich verbotenen Substanzen im Getriebeöl folgt die Disqualifikation. Kurz darauf starb Stefan Kiefer beim GP von Malaysia völlig überraschend an einem Herzversagen. Für mich brach eine Welt zusammen. Er war nicht nur mein Chef und Berater, er war auch mein Freund geworden. Ich brauchte lange Zeit, um über diesen Verlust hinwegzukommen. Nach Stefans Tod fehlte unserem Team die ordnende Hand, ja die Seele.

So stand auch das Jahr 2018 unter keinem guten Stern. Während des ganzen Jahres gelang es uns nicht, verschiedene technische Probleme zufriedenstellend zu lösen. Nach einem Unfall beim Enduro Training geriet ich in eine Formkrise, aus der ich nicht mehr herausfand und Ende Saison beendeten wir unsere Zusammenarbeit.

Aber aufgeben kam für mich nicht in Frage. Es gelang mir, die Enttäuschung zu verarbeiten und ich trainierte im Winter 2018/19 noch intensiver. Beim neuen italienischen Team „MV Agusta Idealavoro Forward Racing» fand ich eine neue Herausforderung. Die Italiener hatten sich 1977 aus dem GP-Rennsport zurückgezogen und nun bekam ich mit der Nummer 77 die Chance, bei der Rückkehr in die WM eine wichtige Rolle zu übernehmen. Ich fühlte mich in diesem jungen Team sehr wohl. Aber die technischen Schwierigkeiten bei der Entwicklung einer neuen Rennmaschine waren enorm. Am Ende der Saison reichte es lediglich zum 22. WM-Schlussrang, meine schwächste Klassierung in der Moto2-WM.

Wir konnten uns nicht mehr auf eine Fortsetzung unserer Zusammenarbeit einigen. Das Scheitern dieser Verhandlungen bedeutete für mich das vorläufige Ende meiner Präsenz in der Moto2-WM. Aber es war nicht das Ende meiner Laufbahn. Zwar hatte ich nun zum ersten Mal, seit es die Moto2-WM gibt, keinen Vertrag in dieser Klasse. Aber meine reiche Rennsport-Erfahrung und mein Leistungsausweis ermöglichten mir die Fortsetzung meiner Karriere. Bis zum Saisonstart 2020 hatte kein anderer Fahrer so viele Moto2-Rennen bestritten (164) wie ich und in der «ewigen Rangliste» der WM-Punkte war ich die Nummer 5. Und so bekam ich im Deutschen «Liqui Moly Intact GP-Team» einen Vertrag als Ersatzfahrer für die Moto2-WM 2020 und fuhr für dieses Team den E-Weltcup, die Rennserie mit den E-Bikes. Und in der Moto2-WM kam ich im Laufe der Saison zu drei Einsätzen als Ersatzfahrer und kam dabei einmal in die WM-Punkte (12. Platz).

2021 wäre ich natürlich gerne wieder in die Moto2-WM zurückgekehrt. Aber leider ergab sich keine Möglichkeit. Meine enorme Motivation schmälerte das nicht. Aber ich musste mit Hilfe meines Bruders Kevin, der sich weiterhin um das Management kümmert, meine Karriere neu organisieren. Einerseits konnte ich erneut für das gleiche Team den E-Weltcup fahren. Die Arbeit mit dieser zukunftsweisenden Technologie ist faszinierend, konnte aber mit lediglich sieben Rennen keine Vollbeschäftigung sein. Also suchte ich nach weiteren Herausforderungen. Ich fand sie beim holländischen Ten Kate Team (Yamaha) in der Supersport-WM. Die Supersport-WM ist 2021 auf 600er-Viertakter-Maschinen gefahren worden. Sie ist nach der Superbike-WM die zweitwichtigste Klasse in der «Superbike-Szene», dem Rennsport auf seriennahen Maschinen. Diese Rennen haben zwar nicht die gleiche mediale Aufmerksamkeit wie der «GP-Zirkus». Sie sind aber wegen der Seriennähe der Maschinen für die Motorradhersteller sehr wichtig und für die Fahrer herausfordernd. Der Einstieg in die Supersport-WM hat sich gelohnt. Ich gewann diese Weltmeisterschaft. Obwohl ich das Rennwochenende (mit zwei Rennen) in Barcelona wegen der Terminkollision mit dem Moto E-Weltcup-Finale auslassen musste. Sechzehnmal gelang es mir, aufs Podest zu fahren und zehn Rennen zu gewinnen. Beim MotoE-Weltcup verlor ich den Gesamtsieg durch einen Entscheid der Jury: Ich gewann das letzte Rennen und die Gesamtwertung, wurde aber von der Jury nach einem korrekten Überholmanöver auf den 12. Platz zurückversetzt und so blieb mir „nur“ der 2. Schlussrang. Es ist, wie es ist. Als Trost hatte ich durch den umstrittenen Jury-Entscheid wohl mehr mediale Aufmerksamkeit, als wenn ich den MotoE-Weltcup gewonnen hätte.

2022 darf ich erneut mit dem «Liqui Moly Intact GP-Team» im MotoE-Weltcup an den Start gehen und den Vertrag mit dem Ten Kate-Team haben wir um ein Jahr verlängert. 2022 gibt es, anders als 2021, keine Terminkollision zwischen dem MotoE-Weltcup und der Superbike-WM. Es freut mich sehr und ich bin dankbar, dass ich weiterhin mit diesen beiden hervorragenden Teams zusammenarbeiten darf, bei denen ich mich überaus wohl fühle. Das Ziel ist der Gewinn des MotoE-Weltcups und die Titelverteidigung in der Supersport-WM. Beides wird schwierig sein. Mit Ducati, MV Agusta und Triumph treten gleich drei neue Marken in der Supersport-WM an und die technischen Reglemente sind geändert worden.

Die Virus-Krise hat auch unseren Sport im zweiten Jahr hintereinander beeinträchtigt. Es ist trotzdem gelungen, unter schwierigen Voraussetzungen die verschiedenen Rennklassen zu fahren. Wir müssen damit rechnen, dass einzelne Rennen auch 2022 nur unter erschwerten Bedingungen ausgetragen werden können. Die letzten zwei Jahre haben jedoch gezeigt, dass es trotzdem möglich ist, internationalen Rennsport zu betreiben.

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Dominique Aegerter

Wohnort: 4938 Rohrbach
Geburtsdatum: 30.09.1990
Beruf: Motorradrennfahrer
Team: GYTR GRT Yamaha World SBK Team
Hobbies: Motocross
Vorbild: Kenny Roberts